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Titel
Heisenberg in the Atomic Age. Science and the Public Sphere


Autor(en)
Carson, Cathryn
Reihe
Publications of the German Historical Institute
Erschienen
Anzahl Seiten
541 S.
Preis
$ 88.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rainer Eisfeld, Fachbereich Sozialwissenschaften, Universität Osnabrück

Der nach dem Zweiten Weltkrieg rasch populär gewordene Begriff „Atomzeitalter“ bündelte Euphorie und Schrecken: Kernkraft schien unbegrenzte Energie für die Zukunft zu verheißen; Hiroshima und Nagasaki dokumentierten hingegen den möglich gewordenen Atomtod ganzer Städte, am Ende gar der menschlichen Zivilisation. 1961–1968 erschien in der Bundesrepublik, redigiert von dem linksliberalen Journalisten Claus Koch und dem linkskatholischen Publizisten Heinz Theo Risse, die Zeitschrift „atomzeitalter“. Hervorgegangen aus der Bewegung „Kampf dem Atomtod“, „ziemlich großzügig“ subventioniert durch den Deutschen Gewerkschaftsbund1, zielte sie darauf ab, Analysen nuklearer Rüstungs- und Abrüstungspolitik einzubetten in die Fragestellung, wie der „wissenschaftlich-technisch[e] Fortschritt unter humane Kontrolle zu bringen“ sei.2 Kaum problematisiert wurde dagegen die „Förderung der friedlichen Verwendung der Kernenergie“ als „Element zur Sicherung der künftigen Energieversorgung“. Das entsprach gewerkschaftlicher Politik.3

Als Ursprung ihres Engagements nannten Koch und Risse die Warnung der „Göttinger Achtzehn vor einer atomaren Aufrüstung der Bundeswehr“.4 Das „Wechselbad von Hoffnung und Furcht“5 der Atomzeitalter-Vorstellung wurde prägnant zum Ausdruck gebracht durch jene Erklärung des Jahres 1957, in der 18 führende Atomphysiker der Bundesrepublik gegen die Verharmlosung „bloß“ taktischer Atomwaffen und die nukleare Bewaffnung der Bundeswehr Einspruch erhoben: „[…] Ein kleines Land wie die Bundesrepublik […] [sollte] ausdrücklich und freiwillig auf den Besitz von Atomwaffen jeder Art verzichte[n]. […] Gleichzeitig betonen wir, daß es äußerst wichtig ist, die friedliche Verwendung der Atomenergie mit allen Mitteln zu fördern. […]“

Als „treibende Kraft“6 bei der Förderung ziviler Kerntechnologie in der Bundesrepublik wirkte seit den frühen 1950er-Jahren Werner Heisenberg (1901–1976), Nobelpreisträger des Jahres 1932, später führend tätig im NS-Atomprojekt. „Treibende Kräfte“ des Göttinger Manifests wiederum waren Carl Friedrich von Weizsäcker und erneut Heisenberg.7 Ein wichtiger Effekt der Erklärung bestand darin, dass sie den bereits schwelenden Konflikt zwischen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß und dem „Spiegel“ vertiefte. In einem „Spiegel“-Gespräch beschied Strauß die Redakteure verächtlich, die Bundesregierung sei allmählich zum „Adressaten der Petitionen sämtlicher Moralromantiker der Welt geworden“. Man dürfe „nicht auf jeden phantasievollen Astrologen hereinfallen, auf jeden Weltverbesserer“.8 Vier Jahre später zitierte Rudolf Augstein just diesen Satz als Beleg für seine Auffassung, Strauß habe „als Demokrat und Republikaner schon zu den schlimmsten Bedenken Anlaß gegeben“.9 Von dem Artikel führte eine direkte Linie zur „Spiegel“-Affäre, welche die politische Kultur der Bundesrepublik nachhaltig veränderte.

Die Entwicklung von Normen und Einstellungen der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft ist seit Beginn der 1990er-Jahre zunehmend mit den Stichworten schrittweiser, wenn auch konfliktreicher „Modernisierung“ bzw. „Liberalisierung“ beschrieben worden.10 Wie lässt sich Heisenbergs „vielschichtige Persönlichkeit“11 in diesem „Lernprozeß“ einer Gesellschaft (Herbert) verorten? Noch 1948 hatte Heisenberg in einem Interview argumentiert, auch wenn die „führenden Wissenschaftler das totalitäre System ablehnten“, hätten sie sich „als Patrioten, die ihr Land liebten, […] nicht weigern können, […] für die Regierung zu arbeiten, als man sie rief“.12 Das hieß nichts anderes, als dass im Krieg eine Diktatur Anspruch auf dieselbe Loyalität hatte wie eine Demokratie. Drei Jahre später äußerte Heisenberg dagegen, wegen fehlender demokratischer Traditionen seien „wir Deutschen im allgemeinen dankbar, wenn wir die Verantwortung für das öffentliche Leben an unsere vorgesetzten Behörden abtreten können“.13

Heisenbergs Einsicht markierte den Beginn einer Entwicklungslinie, die den ersten inhaltlichen Schwerpunkt des Buchs der Wissenschaftshistorikerin Cathryn Carson (Berkeley) ausmacht.14 Dieser Prozess beinhaltet zunächst, was Carson Heisenbergs zunehmende „kulturelle Präsenz“ als „Wissenschaftler-Philosoph“ nennt, der publikumswirksam über die Bedeutung der Atomphysik für das geistige Leben der Epoche nachsann (S. 12, S. 101f.); im Weiteren dann seinen Beitrag „zur Definition eines Ideals von räsonierender Öffentlichkeit“ im Habermas’schen Sinn, zur allmählichen „Durchsetzung der Auffassung, dass Opposition nicht unbedingt illoyal sein musste, sogar demokratisch angemessen sein konnte“ (S. 4f., S. 345). Als Stationen dieses Wegs erwähnt Carson etwa den Münchner Dialog 1953 zwischen Heisenberg („Das Naturbild der modernen Physik“) und Heidegger („Die Frage nach der Technik“); die Präsentation einer einheitlichen Feldtheorie 1957, die im Medienrummel zur Vorstellung der „Weltformel“ geriet (S. 109-122); ferner Heisenbergs öffentliche Stellungnahmen anlässlich von Konflikten um studentische Korporationen (1953) oder den niedersächsischen Kultusminister Leonhard Schlüter (1955), die Göttinger Erklärung, schließlich das Tübinger Memorandum (1961) für eine Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze (S. 315-337).

Den zweiten Schwerpunkt des Buchs bildet Heisenbergs wissenschaftspolitische Rolle beim „Aufbau eines neuen Systems der Forschungsförderung parallel zum Aufbau einer neuen politischen Ordnung“ (S. 13). Im Anschluss an das misslungene Projekt eines Deutschen Forschungsrats, der Forschungspolitik und -förderung verbinden sollte (vgl. S. 193ff., S. 199ff., S. 202ff.), versuchte Heisenberg vom Göttinger Max-Planck-Institut für Physik aus, an dessen Spitze er 1946–1958 stand, die Max-Planck-Gesellschaft als Mittelpunkt eines Netzwerks gouvernementaler Forschungsberatung zu etablieren, wobei die Atompolitik den „Testfall“ bildete (S. 219). Als die von ihm angestrebte Atomkommission 1956 schließlich zustande kam, entsprach sie weder in ihrer Zusammensetzung noch in ihren Kompetenzen Heisenbergs ursprünglichen Vorstellungen. Schon vorher hatte der Physiker sich aus Atompolitik und Reaktorforschung zurückgezogen, nachdem Adenauer gegen Heisenbergs ausdrücklichen Wunsch Karlsruhe statt München zum Standort des ersten westdeutschen Reaktors bestimmt hatte (S. 218-243).

Leider ist das Buch ungünstig gegliedert – in zwei große thematische Teile „Culture“ und „Politics“ sowie einen kürzeren, drei Kapitel umfassenden Abschnitt „Speaking of the Third Reich“, von denen jeder für sich chronologisch aufgebaut ist. Der Leser muss jeweils im Zeitablauf neu beginnen und die Teile aufeinander beziehen, um Heisenbergs Position zu einem spezifischen Zeitpunkt zu bestimmen.

In den wissenschaftspolitischen Kapiteln mag dem deutschen Leser aus den Darstellungen von Peter Fischer, Joachim Radkau und anderen manches bekannt vorkommen. Jene normativ-kulturellen Umorientierungen, denen Carson am Beispiel Heisenbergs und der Rezeption seiner öffentlichen Äußerungen nachspürt, hat bereits Ulrich Herberts Sammelband „Wandlungsprozesse in Westdeutschland“ in den Blick genommen. Doch richtet Carson ihr Augenmerk besonders darauf, welche Rolle die Naturwissenschaften und ihre Vertreter in den kulturellen und politischen Debatten jener Jahre spielten. Zudem ist ihr Buch primär für ein englischsprachiges Publikum gedacht – als Ergänzung und Vervollständigung der Monographien von Cassidy und Rose, die sich auf die Weimarer Republik und das NS-Regime konzentrierten. Während Cassidy sich primär bemühte, „zu verstehen statt zu kritisieren oder zu entschuldigen“15, und Rose aus seiner moralischen Verachtung für Heisenberg kein Hehl machte, begegnet Carson ihrem Protagonisten mit erkennbarer Sympathie. Sie hatte es auch leichter: Nach ihrem Urteil (S. 15) war Heisenberg gegen Ende seines Lebens ein „guter Linksliberaler“.

Anmerkungen:
1 Claus Koch / Heinz Theo Risse, An unsere Leser, in: atomzeitalter, Heft 6/7 (1968), S. 309.
2 Ebd., S. 310.
3 atomzeitalter, Heft 2 (1962), S. 50.
4 Wie Anm. 1.
5 Joachim Radkau, Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft 1945–1975, Reinbek bei Hamburg 1983, S. 94.
6 Radkau, Aufstieg, S. 37.
7 Alexandra Rese, Wirkung politischer Stellungnahmen von Wissenschaftlern am Beispiel der Göttinger Erklärung zur atomaren Bewaffnung, Frankfurt am Main 1999, S. 46.
8 Die kriegsverhindernde Philosophie, in: Spiegel, 1.5.1957, S. 16-23, hier S. 23.
9 Der Endkampf, in: Spiegel, 5.4.1961, S. 14-30, hier S. 15f.
10 Vgl. bes. Ulrich Herbert, Liberalisierung als Lernprozeß, in ders. (Hrsg.), Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945–1980, Göttingen 2002, S. 7-49.
11 David C. Cassidy, Uncertainty. The Life and Science of Werner Heisenberg, New York 1992, S. XI.
12 Paul Lawrence Rose, Heisenberg and the Nazi Atomic Bomb Project. A Study in German Culture, Berkeley 1998, S. 33.
13 Zit. bei Cassidy, Uncertainty, S. 537.
14 Zur besseren Lesbarkeit gebe ich die englischen Zitate im Folgenden in deutscher Übersetzung wieder.
15 Cassidy, Uncertainty, S. XI, der jedoch Heisenbergs Entscheidung, auch nach Vertreibung der jüdischen Physiker weiter in Deutschland zu arbeiten, als „Pakt mit dem Teufel“ wertet (S. 394).

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